Migrationsmedizin

Abklärung auf Tuberkulose

  • Bei Migranten/Asylsuchenden aus bestimmten Herkunftsregionen besteht ein erhöhtes Tuberkuloserisiko. Bei entsprechenden Symptomen gilt also: An TB denken und entsprechend abklären!
  • Ein systematisches Screening auf eine latente Tuberkulose mittels Tuberkulintest oder Interferon-Gamma-Release-Assay (IGRA) wird bei Erwachsenen nicht empfohlen, auch nicht bei Migranten oder Asylsuchenden. Ausnahmen bilden spezielle Situationen, wie Umgebungsuntersuchungen im Umfeld einer an infektiöser Lungen-TB erkrankten Person oder immungeschwächte Patienten
  • Kinder < 5 Jahren sollen unabhängig vom Herkunftsland ein Screening auf TB erhalten (Tuberkulintest)
  • Bei Kindern ≥ 5 Jahre soll ein Tuberkulintest (oder IGRA) durchgeführt werden, wenn eines der folgenden Zeichen oder Symptome besteht: Andauernder/ununterbrochener Husten (> 2 Wochen), Gewichtsverlust/Gedeihstörung, persistierendes (> 1 Woche) unerklärtes Fieber (> 38 °C), andauernde, durch die Eltern/Betreuer berichtete, unerklärte Lethargie oder verminderte Spiellust/Aktivität

Beachte: Zum Ausschluss einer aktiven TB sind Tuberkulintests oder IGRA nicht geeignet, statdessen direkter Erregernachweis

1. Anamnese

Bei der Anamnese kann ein Online-Fragebogen, der in verschiedenen Sprachen aktiviert werden kann, wichtige Hilfestellung geben: Schweiz. Eidgenossenschaft: Tb-Screen

2. Röntgen und Erregernachweis

Bei einem TB-Screening-Score ≥ 10, und wenn entsprechende TB-verdächtige Symptome vorliegen, sind folgende Abklärungen notwendig

  • Röntgen-Thorax
    Bei positivem Befund oder Husten
    • Erregernachweis: Mind. 3 Sputumproben für Mikroskopie, Genom-Amplifikation und Anlegen von Kulturen. Proben können auch aus Bronchialsekret, Pleura- oder anderer Flüssigkeit, bei Kindern aus Magensaftaspirat gewonnen werden

Impfungen

  • Bei allen Migranten, die aus irgendeinem Grund in die Praxis kommen, soll der Impfstatus erhoben und die Impfungen komplettiert werden (am besten gleich bei der ganzen Familie!)
  • Asylbewerber mit unbekanntem Impfstatus sind als ungeimpft zu betrachten
  • Die Impfungen werden in einem Impfausweis der Asylbewerberin/des Asylbewerbers und in der Krankengeschichte dokumentiert
  • Impfungen werden eingeteilt in prioritäre und nicht prioritäre Impfungen. Gesuchstellende werden in den Bundesempfangszentren innert der ersten Tage nach Ankunft mit prioritären Impfungen geimpft
  • Prioritäre Impfungen umfassen: MMR, Varizellen (die Varizellen-Impfung wird auch explizit bei Kindern von 12 Monaten bis 11 Jahren empfohlen, auch wenn dies für einheimische Kinder im Schweizerischen Impfplan erst ab 11 Jahren empfohlen wird), Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis, Hib- und Pneumokokken-Impfung für Kinder unter 5 Jahren
  • Nicht prioritäre Impfungen sind: Hepatitis B (HBV) ab Alter von 3 Jahren (NB: Bei Kindern bis und mit 2 Jahren ist HBV in der hexavalenten Impfung inbegriffen), Humanes Papillomavirus (HPV), Meningokokken-Impfung, Hepatitis A
  • Asylbewerber mit unbekanntem Impfstatus sind als ungeimpft zu betrachten
  • Die Abnahme von Impftitern/-serologien, um einen vorbestehenden Impfschutz abzuklären, wird vom BAG nicht empfohlen. Ausnahme: Hepatitis-B-Serologie zum Ausschluss einer bestehenden, chronischen Hepatitis B bei Gesuchstellenden aus Ländern mit einer Prävalenz ≥ 2 %: U. a. in Afrika, Asien, Osteuropa
  • Impfungen sollen entsprechend dem aktuellen Schweizerischen Impfplan des BAG für empfohlene Basisimpfungen erfolgen –> Impfplan 2021

Skabies

Symptome

  • Beginn mit heftigem Jucken, besonders nachts, sowie ekzemartige Hautveränderungen (Abbildungen –> DermIS)
  • Prädilektionsstellen: Interdigitalräume, Handgelenke, Brustwarzen (perimammilär), Achseln, Ellenbogen, Leisten, Genitalbereich, Knöchel; bei Kindern können auch Kopf und Gesicht betroffen sein. Bei sehr guter Körperpflege kaum Hauterscheinungen, stets aber starker Juckreiz

Diagnostik

  • Klinisches Bild, mikroskopischer Nachweis von Milben, Eiern und Kybala (Kot) aus den Milbengängen. Meist reichen das klinische Bild und der gleichzeitige Befall bei Kontaktpersonen/Familienmitgliedern aus, um die Diagnose zu stellen
  • Ivermectin (Stromectol®) ist gemäss BAG bei fehlenden Kontraindikationen der topischen Therapie vorzuziehen. Dosierung: 200 µg/kgKG p.o. Das Medikament ist in der Schweiz nicht zugelassen. Zu den Bestellmöglichkeiten –> siehe Guideline-Vollversion

  • Die erforderlichen Stromectol® Tabletten auf einmal einnehmen. Nach 14 Tagen wiederholte Einnahme in derselben Dosierung
  • Kontraindikationen: Stromectol® darf nicht bei Schwangeren, stillenden Müttern und Kindern < 15 kgKG verabreicht werden. Diese Patienten müssen topisch behandelt werden!
  • Wichtig: Immer alle Kontaktpersonen mitbehandeln!
  • Permethrin 5 % (z. B. Scabi-med 5 %® Creme); bei Säuglingen und Kleinkindern bis 2 Jahre Permethrin 2,5 %

Vorgehen

  • Die Crème auf das gesamte Integument auftragen, bei Erwachsenen unter Aussparung des Kopfes, bei Kindern, Säuglingen und älteren Personen auch auf die Kopf- und Gesichtshaut (unter Aussparung von Mund und Augenpartie)
  • Schleimhäute an Körperöffnungen müssen sorgfältig ausgespart werden
  • Nach 8–12 h abduschen oder abwaschen
  • Palmar-/Plantarbefall: Nachbehandlung nach 14 Tagen (wg. dickerer Hornschicht)
  • Bei Ekzematisierung: Topisches (Klasse 3-) Steroid (z. B. Elocom®, Sicorten® Plus) mindestens bis zur zweiten Stromectol®-Dosis
  • 24 h nach Einnahme der ersten Stromectol®-Dosis gelten die Patienten nicht mehr als ansteckend

Wichtig

Hygienemassnahmen in der Umgebung (Kleider, Handtücher, Bettwäsche etc.)

Schistosomiasis

Symptome

  • Bei Geflüchteten ist die Schistosomiasis oft asymptomatisch oder verursacht Eosinophilie
    • Unspezifische Symptome bei akuter Erkrankung: Fieber, Myalgie, Arthralgie, trockener Husten, Bauchschmerzen, Durchfall; selten: Urtikaria, periorbitales Ödem, Myokarditis, Encephalitis
    • Symptome bei chronischer Erkrankung (Auswahl)
      Urogenitale S.: Mikro-/Makrohämaturie, Pyurie, Pollakisurie
      Intestinale S.: Chronische/intermittierende Abdominalbeschwerden, Durchfall, Appetitlosigkeit
      Hepatosplenische S.: Periportale Fibrose, portale Hypertension, Ösophagusvarizen
      Pulmonale S.: Dyspnoe

Diagnostik

Screening (asymptomatische Patienten)

  • Bei allen Geflüchteten aus Endemiegebieten (–> Schistosomiasis Endemiegebiete) ist ein serologisches Schistosomiasis-Screening empfohlen
    • „Tropenblock“ beim Tropeninstitut oder Serologie auf Schistosomiasis im lokalen Labor. Bei positivem Befund –> Rücksprache mit Institut/Labor
  • Interpretation
    • Eine negative Serologie schliesst eine Infektion mit grosser Wahrscheinlichkeit aus. Liegt die letzte Exposition kürzer als drei Monate zurück –> Wiederholung Serologie

Bei symptomatischen Patienten

  • Serologische Untersuchung (ELISA und IFT) und parasitologische Untersuchungen auf Schistosomen-Eier in Stuhl bzw. Urin

Bei vermuteter oder nachgewiesener Bilharziose

  • Diff-BB, Lebertransaminasen, gamma-GT, Bilirubin, Alkalische Phosphatase, Urinstatus und Sediment, Kreatinin, Gesamteiweiss und Elektrophorese

Akute Infektion

  • Prednisolon 1–1,5 mg/kg p.o. (Dauer je nach Klinik, meist 3–6 Tage); um Jarish-Herxheimer-ähnliche Symptomatik zu verhindern
  • Praziquantel* 60 mg/kgKG p.o. in 2–3 Dosen am 3. Tag nach Beginn der Steroiddosis, Wiederholung der Therapie mit Praziquantel, nach 6 und 9–10 Wochen (wie Therapie chronische Infektion, s. u.).

* Medikamentenbestellung s. Guideline-Vollversion

CAVE: Bei Patienten aus entsprechenden Endemiegebieten oder nach entsprechender Exposition

  • Strongyloides-Serologie vor Prednisolon-Therapie. Falls positiv zusätzlich Ivermectin 200 µg/kg p.o.
  • Taenia solium-Serologie zum Ausschluss einer Neurozystizerkose vor Praziquantelgabe

Chronische Infektion

  • S. mansoni, S. haematobium, S. intercalatum, S. mattheei: Praziquantel 60 mg/kgKG p.o. in 2–3 Dosen am Tag 0 und Tag 21–30
  • S. japonicum, S. mekongi, S. malayensis: Praziquantel 75 mg/kgKG p.o. in 2–3 Dosen am Tag 0 und Tag 21–30
  • Bei Therapieversagen –> Wiederholen der Therapie mit Praziquantel und/oder Rücksprache mit Tropenmedizin oder Infektiologie

CAVE: Bei Patienten aus entsprechenden Endemiegebieten oder nach entsprechender Exposition

  • Taenia solium-Serologie zum Ausschluss einer Neurozystizerkose vor Praziquantelgabe

Kontrollen

  • Bei initialem Parasiten-Nachweis
    • 2–3 x Stuhl- bzw. Urin-Mikroskopie 3–4 Wochen nach abgeschlossener Therapie
    • Bei Eosinophilie: Kontrolle nach 3 und 6 Monaten (sollte nach 6 Monaten verschwunden sein)
  • Bei serologischer Diagnose
    • Bei Eosinophilie: Kontrolle nach 3 und 6 Monaten (sollte nach 6 Monaten verschwunden sein); ev. Kontrolle 7 Tage nach Therapie (Anstieg unterstützt Diagnose)
    • Serologie nach 12–24 Monaten (Titerabfall als Indikator für erfolgreiche Therapie)

Vollversion

Autoren: Dr. med. U. Beise

Änderungsdatum: 10/2021

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