Gicht und CPPD (Chondrocalcinose)

Diagnostik

Grundsätze

  • Bei typischem Beschwerdebild kann die Diagnose klinisch gestellt werden (s. Symptome)
  • Nachweis von Uratkristallen in der Gelenkflüssigkeit (DD: Chondrocalcinose [Pseudogicht], septische Arthritis) ist in unklaren Fällen angezeigt
  • Provokationsfaktoren: Alkoholkonsum, purinreiche Mahlzeit, Fasten, Flüssigkeitsverlust, diab. Ketoazidose, Stressituationen

Symptome

  • Innert 24 h auftretende äusserst schmerzhafte Monarthritis mit Rötung, Überwärmung und starker Schwellung
  • Beim ersten Gichtanfall ist meist das Grosszehengrundgelenk (Podagra) befallen, seltener Knie- und Sprunggelenk
  • Sehnenscheiden, Schleimbeutel und Weichteile können mitbetroffen sein
  • Im Alter und bei Frauen beginnt die Gicht weniger entzündlich, oft oligo- bis polyartikulär (inkl. Handgelenke)
  • Die CPPD-Arthritis kann in akuten/subakuten oder chronischen Formen auftreten
  • Typischerweise sind die peripheren Gelenke betroffen: Knie (50 %), Hand-, Schulter-, Ellbogen-, Sprunggelenk. Das Grosszehengrundgelenk ist nur sehr selten betroffen. Folgende Erscheinungsformen sind möglich
    • Asymptomatisch
    • Akute CPPD-Kristallarthritis (Pseudogicht): Plötzlich auftretende, schmerzhafte Gelenksentzündung (am häufigsten an Knie- oder Handgelenk), mitunter von Fieber und/oder Schüttelfrost begleitet. Bei Hochbetagten kann rasch eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes auftreten, z. B. mit Verwirrtheitszuständen
    • Polymyalgisches Syndrom
    • Wirbelsäulenbefall („crowned dens syndrome“/Pseudomeningitis): Akute CPPD am Achsenskelett mit Nacken-/Kopfschmerzen, Nackensteife und Allgemeinsymptomen wie Fieber, Verwirrtheit bis hin zur Bewusstseinseintrübung
    • (Sekundär-)Arthrose (mit und ohne akute Arthritisschübe) als chronische Langzeitfolge – mit den typischen Symptomen Anlauf- und Belastungsschmerz –> s. mediX Guideline Arthrose
    • Chronische CPPD-Polyarthritis („pseudorheumatoide Arthritis“): Nicht erosive, inflammatorische Polyarthritis mit Befall u. a. der radialen MCP- und der Handgelenke (bis zu 5 % der symptomatischen CPPD-Patienten sind betroffen). Morgensteifigkeit und Bewegungseinschränkung, Fatigue

Labor

  • Diff.-Blutbild, CRP*, BSR*; Kreatinin (Abklärung Nierenfunktionsstörung)
  • Serum-Harnsäure kann im Anfall normal oder sogar verringert sein, die Bestimmung wird bei akutem Gichtanfall nicht empfohlen

* Hinweis: CRP und BSR sind beim Gichtanfall sehr oft erhöht, die Parameter sind aber nicht geeignet zum Ausschluss anderer Arthritiden

Gelenkpunktion

  • Nachweis von Harnsäurekristallen in Synovialflüssigkeit sichert die Diagnose
  • Gelenkpunktion ist im Gichtanfall nur indiziert, wenn die Diagnose klinisch nicht eindeutig gestellt werden kann (keine Gelenkpunktion bei Podagra!)
  • Bei jeder ersten Knieschwellung ohne Trauma, bei denen diagnostische Unsicherheiten bestehen (V. a. septische Arthritis), sollte eine diagnostische Punktion auf Bakterien, Kristalle, ev. auch Borrelien erfolgen
  • Ein Kristallnachweis kann auch im Intervall aus asymptomatischen Gelenken erfolgen

Bildgebung

  • Zur Diagnostik des Gichtanfalls i. d. R. nicht erforderlich
  • Bei unklaren Fällen Dual-Energy-CT

Screening auf Komorbiditäten

  • Screening auf Komorbiditäten bzw. kardiovaskuläre Risikofaktoren: Nierenfunktionsstörung, KHK, Herzinsuffizienz, PAVK, Hyperlipidämie, Hypertonie, Typ-2-Diabetes
  • Goldstandard im akuten Anfall (wie bei Gicht): Mikroskopischer Kristallnachweis in Gelenken
  • Eine CPPD-Arthropathie kann aber meist diagnostiziert werden anhand des klinischen Bildes und durch Nachweis von charakteristischen Knorpelverkalkungen im konventionellen Röntgenbild oder im hochauflösenden Ultraschall
  • Eine Laboruntersuchung ist zur Diagnose entbehrlich (ausser zur DD einer septischen Arthritis)
  • Bei atypischer Präsentation –> Ausschluss von anderen Differentialdiagnosen und im Zweifel Hinzuziehen eines Spezialisten
  • Sekundär-Arthrosen: Typischerweise sind Gelenke betroffen, die bei der primären (idiopathischen) Arthrose nicht befallen sind: Radiocarpalgelenk, MCP-Gelenke, Schulter- und Mittelfussgelenke

Therapie

Medikamente der Wahl

  • Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
    • Z. B. Naproxen oral in Dosen von 2 x 500 mg/d 5–10 d bzw. bis zum gewünschten Therapieerfolg oder  
    • Indomethacin oral 3 x 50 mg/d 5–10 d bzw. bis zum Abklingen des Anfalls (oft stärkere gastrointestinale NW; ev. als Reserve mitgeben, wenn anderes NSAR nicht hilft)
    • Wichtige Kontraindikation: Niereninsuffizienz

Hinweis: Aspirin ist in Dosierung bis 1 g/d wegen Hemmung der Harnsäureausscheidung kontraindiziert; Aspirin-Dosis > 3 g ist urikosurisch, wird aber nicht für den Gichtanfall empfohlen

  • Kortikosteroide bei Kontraindikation für NSAR
    • 20–50 mg/d Prednison bis Beschwerden nachlassen, anschliessend ausschleichen über 7–10 d
    • Ev. intraartikuläre Steroidinjektion (10 mg Triamcinolon und Lidocain), z. B. nach diagnostischer Gelenkpunktion; sehr hohe Wirksamkeit!

Reservemedikamente

  • Colchicin
    • Dosierung: Beginn mit 1 mg, eine Stunde danach einmalig 0,5 mg, in den folgenden Tagen 2 x 0,5 mg/d bis zum Abklingen der Beschwerden. Wichtig: Colchicin spätestens 12 h nach Schmerzbeginn einsetzen!
    • Colchicin muss aus Deutschland (Colchicum-Dispert-Tabletten) beschafft werden
  • Canakinumab (Ilaris®)
    • In Ausnahmefällen (off-label), wenn alle o. g. Medikamente kontraindiziert oder unwirksam sind und häufig Anfälle auftreten (beim Spezialisten)

Unterstützende Massnahme

  • Hochlagerung der Extremität und Kühlung

 

 Indikation

  • Urikostatische Prophylaxe wird empfohlen bei
    • Mindestens zwei Gichtanfällen pro Jahr
    • Bereits vorhandenen Gichttophi
    • Rezidivierender Uratnephrolithiasis
    • Gicht bei Niereninsuffizienz
    • Bekannter Harnsäureüberproduktion, z. B. unter Chemotherapie

Medikamente

  • Urikostatikum Allopurinol (Xanthinoxidasehemmer)
    • Dosierung: 300 mg (max. 800 mg), einschleichend beginnen mit 100 mg, alle 2–4 Wochen um 100 mg erhöhen. Bei Niereninsuffizienz: Geringere Dosis, angepasst an Kreatinin-Clearance
    • Zielwert: Harnsäure-Plasmaspiegel < 360 µmol/l (< 6 mg/dl). Bei Gichttophi < 300 µmol/l, aber nicht < 180 µmol/l
    • Behandlungsdauer: Absetzversuch erwägen nach mind. 5 Jahren erfolgreicher medikamentöser Harnsäuresenkung
  • Urikostatikum Febuxostat (Adenuric®)
    • Indikation: Wenn Allopurinol nicht vertragen wird
    • Dosierung: 1 x 40 mg/d, bei Bedarf schrittweise auf 120 mg/d erhöhen. Bei Niereninsuffizienz ist keine Dosisanpassung erforderlich
  • Urikosurikum Probenecid
    • Indikation: Reservemedikament, nur wenn o. g. Medikamente nicht vertragen werden bzw. kontraindiziert sind
    • Dosierung: 1. Woche: 2 x ½ Tbl. Santuril®, danach 2 x 1 Tbl. bis zur Normalisierung der Serum-Harnsäurewerte, danach schrittweise Dosisreduktion. Cave: NW und Interaktionen; nur bei nierengesunden Patienten!

Antiinflammatorische Prophylaxe

  • Zur Gichtanfall-Prophylaxe kann über 6 Monate ein niedrig dosiertes NSAR (oder ev. Colchicin 2 x 0,5 mg/d) verordnet werden (Cave: Niereninsuffizienz!)

Harnsäure-Kontrollen

  • 2–4 Wo. nach Beginn bzw. Dosisanpassung der harnsäuresenkenden Therapie
  • Wenn der Zielwert erreicht ist, jährliche Kontrollen

Weitere pharmakologische Massnahmen

  • Wenn möglich sollten Medikamente, welche den Harnsäurespiegel erhöhen, abgesetzt werden (z. B. Schleifendiuretika, Thiaziddiuretika, Aspirin)
  • Bei Patienten mit Hypertonie möglichst Umstellung auf Losartan, das (bei ausreichender Nierenfunktion) urikosurisch wirkt

Prinzipien

  • Jeder Gicht-Patient sollte eine Beratung hinsichtlich des Lebensstils bzw. der Ernährung erhalten
  • Die Gichtdiät zielt auch auf das häufig assoziierte metabolische Syndrom und das erhöhte kardiovaskuläre Risiko
  • Die traditionelle purinarme Diät wird nicht mehr empfohlen. Eine proteinreiche pflanzliche Ernährung scheint trotz hohen Puringehalts vorteilhaft

Diätempfehlungen

  • Übergewichtige Patienten: Langsame Gewichtsabnahme mittels Kalorienrestrikton und vermehrter körperlicher Aktivität (keine Crash-Diäten oder Fastenkuren!)
  • Fettreduzierte Lebensmittel und pflanzliche Proteinquellen in die Ernährung integrieren
  • Vermehrter Konsum von Milchprodukten
  • Proteinreiche Nahrungsmittel wie Fleisch, Innereien und Meeresfrüchte vermeiden oder in geringen Mengen
  • Auf eine ausreichende Trinkmenge ist zu achten (> 2 l/d). Empfohlen werden zuckerfreie nicht-alkoholische Getränke
  • Bier sollte strikt gemieden werden, möglichst auch Verzicht auf Spirituosen, massvoller Weingenuss erlaubt
  • Gezuckerte Getränke vermeiden
  • Patienteninformationen im mediX Gesundheitsdossier Ernährung

Therapie CPPD

  • Kälteapplikation, Schonung, Entlastung der Extremität

Medikamente

  • Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) peroral für etwa 7–10 d (falls indiziert mit Magenschutz)
  • Wenn NSAR-Therapie nicht möglich
    • Steroide peroral, z. B. Prednison 20 mg über einige Tage bis die Symptome nachlassen, dann ausschleichen. Bei der pseudomeningitischen Form sind höhere Steroiddosen erforderlich (40–50 mg/d)
    • Alternativ: Colchicin (3–4 x 0,5 mg/d am ersten Tag und danach 1–2 x 0,5 mg/d)
    • Bei Entzündung von maximal 2 Gelenken kann auch eine Steroidinjektion ins betroffene Gelenk erfolgen
  • Es gibt keine etablierte prophylaktische Behandlung
  • Bei wiederkehrenden akuten Entzündungsschüben ev. im Einzelfall Dauerbehandung mit Colchicin (1–2 x 0,5 mg/d); alternativ ev. niedrigdosierte NSAR (z. B. Naproxen)
  • Eine Magnesiumsupplementation kann versucht werden –> Symptomlinderung bei manchen Patienten, jedoch kein Einfluss auf radiologische Befunde

Vollversion

Autoren: Dr. med. U. Beise

Änderungsdatum: 06/2022

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