Polymyalgia rheumatica / Riesenzellarteriitis

Polymyalgia rheumatica

  • Alter > 50 J.
  • Schmerzen und Morgensteifigkeit im Schultergürtel, im Beckengürtel, Nackenschmerzen, Funktionsminderung mit Verringerung des Bewegungsumfangs der betroffenen Gelenke, Kraftverlust. Ausstrahlung der Schmerzen bis Ellbogen bzw. Knie
  • Symptomdauer: ≥ 2 Wochen. Morgensteifigkeit: ≥ 45 min. Beginn oft einseitig, später beidseitig
  • Periphere muskuloskelettale Symptome wie periphere Arthritis, CTS oder Ödeme an Händen und Füssen, Tendosynovitiden
  • Systemische Symptome (bei 40 %): Subfebrile oder febrile Temperaturen, Malaise, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust

Die obligaten Diagnosekriterien gemäss EULAR/ACR sind

  • Beidseitige Schulterschmerzen
  • Erhöhte BSR oder CRP
  • Alter > 50 Jahre

Zusätzliche Kriterien (bei ≥ 4 Pkt ist die Diagnose sehr wahrscheinlich)

  • Morgensteifigkeit von > 45 min (2 Pkt)
  • Hüftschmerzen oder verminderte Beweglichkeit im Hüftgelenk (1 Pkt)
  • Rheumafaktoren und Anti-CCP im Normbereich (2 Pkt)
  • Keine anderen peripheren Gelenkschmerzen (1 Pkt) (Cave: kommen trotzdem bei 25 % der Patienten vor)

Die Schmerzen haben einen entzündlichen Charakter: Schlimmer nach Ruhephasen, Besserung auf Bewegung

Labor

  • Blutbild (bei einigen Patienten tritt eine normozytäre normochrome Anämie auf)
  • CRP und BSR (nicht spezifisch, dient zum Ausschluss unter Beachtung, dass ca. 4 % der Erkrankten weder eine BSR- noch CRP-Erhöhung aufweisen)
  • Glucose, Kreatinin, Leberenzyme
  • Alkalische Phosphatase, korrigiertes Calcium und Phosphat
  • U-Status

Zur Evaluation von Differentialdiagnosen

  • Elektrophorese, Immunfixation und freie Leichtketten
  • Vitamin D nur bei auffälligem Knochenstoffwechsel und/oder V. a. Hyperparathyreoidismus
  • RF, Anti-CCP
  • TSH, CK, ANA, ANCA, Quantiferon-Test

Überweisung an Rheumatologen

  • Bei atypischer Präsentation (periphere entzündliche Schmerzen, tiefe BSR, Alter < 50 J.), Versagen der Prednisontherapie, häufigen Rückfällen, NW der Therapie

Kortikosteroidtherapie i. d. R. für 1–2 Jahre

  • Initial Prednison 20 mg/d (deutliche Besserung nach wenigen Tagen)
  • Anschliessend Reduktion Prednison mit Ziel 10 mg/d innert 4–8 Wochen!
  • Bei erneuten Beschwerden: Dosis anheben auf letzte wirksame Dosis, dann langsamere Reduktion (innert 4–8 Wochen auf vorherige Dosis)
  • Wenn stabil: Dosisreduktion um 1 mg/d jeden Monat (oder 1,25 mg mit täglich wechselnd
    10 mg und 7,5 mg, um 5 mg Tbl benutzen zu können)

Beachte: Wenn höhere Dosen als hier angegeben gebraucht werden, sollten andere Diagnosen in Betracht gezogen werden

Begleittherapie

  • Impfungen rechtzeitig auffrischen! (Gemäss EULAR und siehe auch mediX FS Impfungen)
  • Osteoporoseprophylaxe: Bei Steroidtherapie (Prednison > 5 mg/d) länger als 3 Monate
    –> Kalzium und Vitamin D, bei zusätzlichen Risikofaktoren ev. zusätzlich ein Bisphosphonat. (Siehe mediX GL Osteoporose)
  • Prophylaxe einer Pneumozystis jirovecii Pneumonie (PjP-Prophylaxe) mit Cotrimoxazol bei Corticosteroid-Therapie mit 20 mg pro Tag > 4 Wochen
  • Sofern keine sonstige Indikation für Thrombozytenaggregationshemmer, Antikoagulanzien oder Statine besteht, sollten diese nicht routinemässig bei Polymyalgia rheumatica oder RZA gegeben werden
  • PPI Prophylaxe als Magenschutz insbesondere bei hohen Steroid Dosen oder bei Kombination mit NSAR oder Anamnese von gastroduodenalen Ulcera
  • Bei folgenden Komorbiditäten und Risikofaktoren für Steroid-NW frühzeitig Methotrexat als steroidsparendes Medikament erwägen
    • Arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, gastrale Ulzera, Osteoporose, Katarakt/Glaukom, häufige Infekte, andere kardiovaskuläre Erkrankung
    • Hinweise auf prolongierten Verlauf (Frauen, BSR > 40/h, periphere Arthritis)

Kontrollen

  • Nachkontrollen etwa in folgenden Abständen: Nach 1 und 4 Wochen, dann monatlich im ersten Jahr und alle 3 Monate im zweiten Jahr. Ansonsten bei neu auftretenden Symptomen oder Nebenwirkungen
  • Labor: BSR, CRP, Blutbild, BZ/HbA1c (steroidinduzierter Diabetes)
  • Auf Anzeichen einer (nachfolgend auftretenden) RZA achten!
  • Augenärztliche Kontrollen sind bei langfristiger Steroidtherapie erforderlich (Steroid-Glaukom/Katarakt etc.)

Beachte: Bei gutem klinischen Befund können allenfalls erhöhte Laborwerte toleriert werden, anstatt Steroidnebenwirkungen durch unnötig viel Steroid zu verursachen.

Riesenzellarteriitis

  • Meist eher schleichender, manchmal auch abrupter Beginn
  • Bitemporal akzentuierter Kopfschmerz (Analgetika-resistent), meist als Dauerschmerz, selten intermittierend
  • Spezifischer sind: Schmerzen beim Kauen (Kieferclaudicatio), ev. Schluckclaudicatio und Zungenbrennen
  • Überempfindlichkeit der Kopfhaut, verdickte und/oder schmerzhaft palpable A. temporalis
  • Diverse Sehstörungen (z. B. Doppelbilder, Amaurosis fugax)
  • Allgemeinsymptome: Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Fieber bis > 39 Grad, nicht produktiver Husten (10 %)

Ausserdem

  • Aortenaneurysma und Dissektion (bis zu 10 %, eher nach jahrelangem Verlauf)
  • Zerebrale Ischämie als Folge einer entzündlichen Beteiligung des Vertebralis-, Basilaris- oder Karotisversorgungsgebietes bei 3–4 %
  • Diagnose anhand von Symptomatik, Entzündungsparametern, Bildgebung/Biopsie. Die Diagnose RZA sollte durch Evidenz aus Bildgebung oder Biopsie gestützt werden!
  • Empfohlene Laboruntersuchungen: siehe oben unter Labor (PMR)

Sonographie und Histologie

  • Arterienbiopsie (meist A. temporalis) nach Duplexsonographie gilt weiter als Goldstandard, wird aber in der Praxis kaum durchgeführt
  • Duplex-Sonographie der Aa. temporalis und subclavia: Sollte bei Verdacht auf RZA immer von einem erfahrenen Untersucher durchgeführt werden. Bei Unsicherheit in der Diagnose kann nach Behandlungsbeginn eine Biopsie (beim Chirurgen) veranlasst werden
  • Alternative Diagnoseverfahren (mit geringerer Bedeutung): PET (Cave: Strahlendosis!),
    (Angio-)MRI

Überweisung an Spezialisten

  • Bei (Verdacht auf) RZA soll die Diagnose durch einen Rheumatologen gesichert werden, auch zur Einleitung einer Steroid-sparenden Therapie (Kostengutsprache)
  • Aufgrund der Konsequenzen einer möglichen beidseitigen Erblindung –> sofortige Überweisung zum Ophthalmologen
  • Die Therapie muss unverzüglich beim Spezialisten erfolgen
  • Die Riesenzellarteriitis führt unbehandelt zu einer Beteiligung der Aorta und ihrer Seitenäste mit verschiedenen Komplikationen

Kortikosteroidtherapie i. d. R. für mindestens 1–2 Jahre, bei Steroid-sparender Therapie auch kürzer

  • Rituximab: Diskussion ob zeitnah nach Diagnosestellung versus im Verlauf
    mediX empfiehlt: Rituximab erst im Verlauf einsetzen, wenn Steroide nicht ausreichend wirken oder wenn eine Steroid-Reduktion nicht möglich ist

Bei Patienten mit okulärer/zerebraler Symptomatik

  • Initial intravenöse Hochdosistherapie (z. B. 1’000 mg/d Methylprednisolon) über 3 Tage, anschliessend Fortsetzung mit oraler Therapie gemäss der Empfehlung eines Spezialisten

Als Steroid-sparende Therapie zur Remissionsinduktion kann alternativ folgendes erwogen werden (Indikationsstellung durch den Spezialisten)

  • Avacopan (C5aR Inhibitor): 30 mg 2 x/Tag in Kombination mit Rituximab (RTX) oder Cyclophosphamid (CYC)
  • Tocilizumab (8, 11)
  • Methotrexat mit derselben Indikation wie Tocilizumab (Wirksamkeit nur bis maximal 36 Wochen nachgewiesen) (8, 9)
  • Leflunomid

Begleittherapie: siehe oben unter PMR

Erhaltungstherapie

  • Bei Remission nach Induktion mit entweder RTX oder CYC wird remissionserhaltende Therapie für 24–48 Monate mit RTX empfohlen. Alternativ dazu kann Methotrexat (MTX) oder Azathioprin (AZA) gegeben werden

Kontrollen

  • Siehe PMR. Beachte: Ein (leichter) Anstieg von PCR/BSR kann auch bei RZA toleriert werden, wenn keine klinischen Zeichen einer Verschlechterung vorhanden sind
  • Patient informieren: Sofort Arzt/Ärztin aufsuchen, wenn erneut Symptome auftreten (z. B. Kopfschmerzen oder PMR-Symptomatik)

Rezidive und Rezidivtherapie

  • Innert zwei Jahren haben 30–40 % der Patienten ein Rezidiv, jedoch selten mit schwerwiegenden Komplikationen (z. B. Sehverlust)
  • Die meisten Patienten befinden sich zum Zeitpunkt des Rezidivs unter Steroidtherapie. In diesen Fällen soll die Steroiddosis erhöht werden (ev. plus steroidsparende Komedikation,
    s. o.)
  • Bei Patienten, die sich nicht mehr unter Steroidtherapie befinden, soll die Prednisontherapie neu begonnen werden

Vollversion

Autoren: Dr. med. U. Beise

Änderungsdatum: 09/2024

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