Diabetes mellitus

Diagnostik

Diabetes mellitus Typ 2

  • HbA1c ≥ 6,5 %, durchschnittlicher BZ = (HbA1c x 2) – 5
  • Gelegenheits-Plasmaglukose: ≥ 11,1 mmol/l und klassische Symptome (Polydipsie, Polyurie, Gewichtsverlust)
  • Nüchtern-Plasmaglukose: ≥ 7,0 mmol/l
    Beachte: HbA1c ist nicht aussagekräftig bei Hämoglobinopathien, hämolytischer oder Eisenmangelanämie, schwerer Leber- und Niereninsuffizienz und in der Schwangerschaft

Kategorien mit erhöhtem Risiko, einen Diabetes zu entwickeln (Prä-Diabetes)

  • IFG (Impaired fasting glucose): Nüchternplasmablutzucker 5,6–6,9 mmol/l
  • HbA1c 6,0–6,4 %
    –> „Prädiabetische" Patienten sollten hinsichtlich Lifestyle beraten werden
  • Plasma-Glukose, HbA1c, Kreatinin, Kalium, GPT, GOT, Urinstatus für Mikroalbuminurie, TSH bei Typ-1-Diabetes, allenfalls Lipidstatus

Bei allen Personen ab 40 J. alle drei Jahre. Bei erhöhtem Risiko auch früher und in kürzeren Intervallen. Ein erhöhtes Risiko besteht bei

  • Positiver Familienanamnese
  • Status nach Gestationsdiabetes oder Geburtsgewicht eines Kindes > 4’100 g
  • HbA1c 6,0–6,4 % in der Anamnese
  • Übergewicht: BMI > 25 kg/m2
  • Arterieller Hypertonie
  • Dyslipidämie
  • Polyzystischem Ovarsyndrom
  • Bei allen übergewichtigen oder adipösen Erwachsenen im Alter zwischen 35–70 Jahre (alle 3 Jahre)

Therapie

  • Therapieziele individuell vereinbaren
  • Diabetes- und Ernährungsberatung für alle Patienten
  • Lifestyle-Intervention: Langfristige Ernährungsumstellung, regelmässige körperliche Aktivität, relativ geringe Gewichtsabnahme bei Übergewicht/Adipositas (ca. 5–10 %) sind wirksamer als orale Antidiabetika

Orientierungsgrössen

  • Blutzucker bei jüngeren Patienten: Zielkorridor HbA1c 6,5–7,0 %. Hypoglykämien und Hyperglykämien > 10 mmol/l möglichst vermeiden!
  • Blutzucker bei älteren und/oder polymorbiden Patienten: Zielkorridor 7,5–9 %
  • Blutdruck: < 140/90 mmHg, bei < 65-Jährigen < 130/80 mmHg (falls vertragen)
  • Lipide: Bevorzugt feste Statindosis, ev. LDL-Cholesterin < 1,8 mmol/l (primäre Prävention),
    < 1,4 mmol/l bei Hochrisikopatienten, siehe mediX Guideline Hyperlipidämie
  • Gewichtsabnahme: Bei BMI 27–35 kg/m2 5 kg, bei BMI > 35 kg/m2 ca.10 kg
  • Aspirin: Zur Primärprävention nicht mehr empfohlen; nur zur Sekundärprävention etablierter kv Erkrankungen
  • Diabeteskontrollblatt-Vorlage (Equam-Version)
  • Diabetes- und Ernährungsberatung für alle Patienten
  • Lifestyle-Intervention: Langfristige Ernährungsumstellung, regelmässige körperliche Aktivität, relativ geringe Gewichtsabnahme bei Übergewicht/Adipositas (ca. 5–10 %) sind wirksamer als orale Antidiabetika (6)
  • Hafer-Kur/Hafertage (52, 53)
    Führt über 6–8 Wochen anhaltend zu einer deutlichen Senkung des mittleren Blutzuckerspiegels, des zuzuführenden Insulins, des HbA1c Werts sowie im besten Falle zur begleitenden Leberfettreduktion

Eventuell muss bereits während der Haferkur-Tage oder im Anschluss die antidiabetische Mediakation angepasst werden!

Grundsätze

  • Pharmakotherapie nach HbA1c sowie krankheits- und personenspezifischen Faktoren
  • Wenn HbA1c > 8,5 % –> Insulin erwägen
  • Wenn HbA1c > 9 % –> Insulin empfehlen
  • OAD: Metformin, SGLT-2 Hemmer und GLP-1 Analoga stehen im Vordergrund
  • Bei Patienten mit anfänglichem HBA1c < 8,5 % mit Monotherapie beginnen
  • Bei Patienten mit anfänglichem HBA1c ≥ 8,5–9,0 % sofort mit Zweierkombination beginnen
  • Stufentherapie: Monotherapie –> Zweierkombination –> Dreierkombination
  • Grundsätzlich sind alle OAD und Insuline miteinander kombinierbar. Aber: Nie mehr als 3 OAD kombinieren!
  • Patienten unter medikamentöser antidiabetischer Therapie müssen unbedingt darüber aufgeklärt werden, dass sie bei Fieber, Durchfall, Erbrechen oder ausgeprägtem Krankheitsgefühl die antidiabetische Therapie pausieren sollten, um eine Ketoazidose zu vermeiden. Dies gilt prinzipiell für alle Antidiabetika, aber insbesondere für SGLT-2-Hemmer.
    Hierfür gibt es von der SGED mit der „Sick-Day-Rules-Card“ eine Vorlage.

Stufentherapie 

Monotherapie

  • 1. Wahl Metformin
  • Bei Metformin-Unverträglichkeit: SGLT-2-Hemmer oder GLP-1 Analoga

Zweierkombinationen

  • Metformin + GLP-1-Agonist (sofern BMI > 28 kg/m2)
  • Metformin + SGLT-2-Hemmer
  • Metformin + DPP-4 Hemmer (wenn BMI < 28 kg/m2 oder Nebenwirkungen von SGLT-2-Hemmer (z. B. häufige Pilzinfekte/HWI)

Dreierkombination

Bevorzugt: Metformin + SGLT-2 + GLP-1-Agonist. Cave: Kostengutsprache        

  • Für Zugabe SGLT-2-Hemmer zu GLP-1 muss eine Niereninsuffizienz (z. B. Mikroalbuminurie) oder Herzinsuffizienz vorliegen, für Zugabe GLP-1 zu SGLT-2 muss der BMI > 28 kg/m2 sein

Werden Bedingungen nicht erfüllt

  • Metformin + SGLT-2 + DPP-4-Hemmer
  • Metformin + GLP-1 + Basisinsulin

Insulintherapie

  • Wenn die BZ-Ziele mit einer Dreierkombination nicht erreicht werden (nach 3–6 Monaten)
    Insulin hinzugeben oder ausbauen!
  • Basisinsulin (1 x tägliche Injektion)
  • Ko-formuliertes Insulin = Mischinsulin = Ryzodeg (2 x tägliche Injektion)
  • Basis-Bolus-Insulin (4 x tägliche Injektionen)
  • Wahl der Anzahl Injektionen je nach Höhe des HbA1c bzw. Grad der Entgleisung. Ziel: Basis- Bolus zu vermeiden. Bei steigendem HbA1c (HbA1c > 8,5 %) frühzeitig Basisinsulin erwägen

Hinweise zu einzelnen Antidiabetika

  • SGLT-2-Hemmer (Dapagliflozin/Forxiga®; Canagliflozin/Invokana®, Vokanamet®; Empagliflozin/Jardiance®, Jardiance Met®; Ertugliflozin/Steglatro®)
    Gut geeignet bei Patienten mit KHK, insbesondere bei Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz. Unter einer GFR von 15 ml/min ist nur Canaglifloz indiziert, darüber sind alle SGLT-2 Hemmer einsetzbar
  • GLP-1-Agonisten: Semaglutid (Ozempic®, Rybelsus®), Dulaglutid (Trulicity®), Tirzepatid (Mounjaro®).
    Gut geeignet bei Patienten mit Niereninsuffizienz, Übergewicht/Adipositas und bei denen Hypoglykämien vermieden werden sollten. Aktuell (04/2024): Wegen Kontingentierung keine Neuverschreibung von s.c. GLP-1-Agonisten, stattdessen Rybelsus® (Einzelheiten in Guideline-Vollversion)
    Semaglutid (Wegovy®) ist zur Behandlung von Adipositas zugelassen, Limitatio beachten!
  • Sulfonylharnstoffe werden wegen Exazerbation der Betazelldysfunktion, Gewichtszunahme und Hypoglykämierisiko in der Schweiz nicht mehr empfohlen

Abbildung: SGED–Empfehlungen zur Diabetestherapie (2023)

Indikation

  • Bevorzugtes add on zu Metformin, SGLT2 und GLP-1
  • Bei Symptomen eines Insulinmangels (Gewichtsverlust, schlechter Allgemeinzustand)
  • HbA1c > 8.5 %: Beginn mit Basisinsulin erwägen, > 9 % empfohlen
  • Bei Schwangeren (egal ob vorbestehend oder Gestationsdiabetes)

Therapieschemata

1. Basisinsuline

  • Bei ungenügend kontrolliertem Diabetes unter Tripeltherapie Zugabe eines einmal täglich gespritzten Langzeitinsulins
  • Einstieg meistens mit Levemir® oder Lantus® oder Abasaglar®, alternativ auch die teureren Basisinsuline Tresiba® oder Toujeo®
  • Dosierung: Beginn mit 10 E (bei übergewichtigen Patienten auch mehr erlaubt) einmal täglich, Steigerung alle 2 Tage um 2 E, bis Nüchtern-BZ < 8 mmol/l, idealerweise 6–7 mmol/l

2. Mischinsuline

  • Bei weiterhin ungenügend kontrolliertem Diabetes mit ausdosiertem Basisinsulin muss Bolusinsulin dazugegeben werden, am einfachsten zweimal täglich als ko-formuliertes Insulin
  • Bedingungen: Sehr regelmässiger Tagesablauf mit regelmässigen, relativ konstant zusammengesetzten Mahlzeiten (v. a. bei betagten Patienten oder Alters-/Pflegeheimbewohnern). Wegen der mangelnden Flexibilität nicht bei jüngeren Patienten einsetzen!
  • Dosierung: Injektion vor den 2 Hauptmahlzeiten. Morgendosis: Deckt Frühstück und Mittagessen ab, wird anhand des BZ vor dem Abendessen angepasst. Abenddosis: Deckt Abendessen und Nacht ab, wird anhand des Nüchtern-BZ angepasst
  • Wichtigster Vertreter = Ryzodeg® enthält Insulin aspartat (30 %) und Insulin degludec (70 %)

3. Basis-Bolus-Therapie

  • Besteht aus schnell wirksamem Insulin zu den Hauptmahlzeiten und Basisinsulin (4 x tägliche Injektionen)
  • Höchste Flexibiltät, aber auch höchste Komplexität!
  • Vorbestehende Therapie (Metformin, GLP-1 Agonist, SGLT-2 Hemmer) wird belassen
  • Aufgrund häufig notwendiger Blutzuckermessungen CGMS anbieten (Freestyle libre oder Dexcom)
  • Indikation: Bei Typ-2-Diabetes, wenn Therapieziele nicht anders erreicht werden können
  • Nachteil: Höchstes Hypoglykämierisiko
  • Bolus-Insuline: Insulin aspartat (Novorapid®, Fiasp®) Insulin lispro (Humalog®, Lyumjev®), Insulin glulisin (Apidra®)

Diabetische Retinopathie

  • Typ-1-Diabetes: 1–2-jährliche Augenkontrollen (1. Mal spätestens nach 5 Jahren)
  • Typ-2-Diabetes: 1. Mal bei Diagnosestellung, bei fehlender Retinopathie alle zwei Jahre, bei Retinopathie mind. Jährlich oder auf augenärztliche Empfehlung
  • Bei beiden Formen: Sofortige Kontrolle bei Visusverschlechterung (bei starken
    BZ-Schwankungen handelt es sich meistens um vorübergehende Akkomodationsstörungen: Osmosewirkung. Keine Brille anpassen!)
  • Gute BD- und BZ-Kontrolle anstreben
  • Vorlage Augenärztliche Kontrollen

Diabetische Nephropathie

Screening auf Mikroalbuminurie

  • Typ-1-Diabetes: Jährlich (1. Mal spätestens nach 5 Jahren)
  • Typ-2-Diabetes: Jährlich (1. Mal bei Diagnosestellung)

Hinweis: Bei bekannter Mikroalbuminurie ist jährliche Kontrolle auf Proteinurie angezeigt.
Mögliche Alternative: Gerechtfertigt scheint auch ein Screening ausschliesslich bei Patienten mit weiteren kardiovaskulären und renalen Risikofaktoren, sofern diese bei Kenntnis einer Mikroalbuminurie zu einer strengeren Kontrolle von Risikofaktoren bereit wären

Konsequenzen

  • Bei bekannter Mikroalbuminurie ist jährliche Kontrolle auf Proteinurie angezeigt
  • Alle Patienten mit Mikroalbuminurie sollten ACE-Hemmer oder AT-II-Blocker erhalten
  • SGLT-2 Hemmer: Können bei erwachsenen Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (auch ohne Diabetes mellitus) unter bestimmten Voraussetzungen gegeben werden (siehe Vollversion unter Diabetische Nephropathie)
  • Bei Patienten, die trotz Behandlung mit ACE-Hemmer und SGLT2-Inhibitor eine Albuminurie
    ≥ 30 mg/d aufweisen, soll gemäss Limitatio zur Senkung des Progressionsrisikos Finirenon gegeben werden. (Limitatio: siehe Vollversion unter Diabetische Nephropathie)
  • Seit 05/2024 ist auch eine erste Evidenz für die nephroprotektive Wirkung und Senkung der Proteinurie bei Patienten mit DM und CKD durch die Gabe von Semaglutid vorhanden
  • Gute Kontrolle von Blutzucker und Blutdruck anstreben!

Urinuntersuchung

Ohne Symptome keine routinemässige Urinuntersuchung auf HWI oder Proteinurie

Diabetische Neuropathie

Neurologische Untersuchung

  • Oberflächensensibilität: Monofilament Plantarseite Metatarsale 1–2, plantar distal an der Grosszehe (nie an verhornten Stellen). Monofilament ist auch im Alter verlässlich
  • Tiefensensibilität: Reflexe (ASR, PSR), Lagesinn, Vibration (unter 4/8) am Strahl I Grundgelenk medial

Fusskontrolle

Kontrolle 1 x/Jahr, bei schlecht eingestellten Diabetikern häufiger; bei jeder Konsultation nach den Füssen fragen

Behandlung distale Polyneuropathie

  • Diabetes gut einstellen, Indikation zur Insulintherapie
  • Oberflächlicher Schmerz: Lokale Therapie mit Capsaicin 0,075 % 4 x tgl. Capsaicin-Salbe (0,025–0,1 %), Schmerzlinderung bei Polyneuropathie nachgewiesen, jedoch Gefahr irreversibler Nebenwirkungen (z. B. Sensibilitätsstörungen)
  • Tiefer Schmerz: Antiepileptika wie Gabapentin (z. B. Neurontin®, Generika) 900–3’400 mg (auftitrieren), Pregabalin (Lyrica®), Duloxetin (Cymbalta®). Reservemedikamente: Trizyklische Antidepressiva, wie Imipramin (Tofranil®) 25–75 mg, Amitriptylin (Saroten®) 25–75 mg, Clomipramin (Anafranil®) 25–150 mg
  • Therapieversuch mit Dafalgan® abends oder mit Magnesium

Gestationsdiabetes

  • Screening bei allen Schwangeren zwischen der 24. und 28. SSW, bei erhöhtem Risiko (familiäre Belastung mit Diabetes, St. n. Gestationsdiabetes, ethnische Herkunft,
    BMI > 30 kg/m2) ab der 12. SSW
  • Nüchtern-BZ-Screening (8 h nüchtern): < 4,4 mmol/l (Plasma) ist ein Gestationsdiabetes ausgeschlossen
  • Nüchtern-BZ ≥ 5,1 mmol/l –> Gestationsdiabetes ist gesichert (ohne OGTT!)
  • Nüchtern-BZ 4,4–5,0 mmol/l –> 75 g OGTT durchführen –> bei BZ 1 h ≥ 10 mmol/l und/oder 2 h ≥ 8,5 mmol/l –> Gestationsdiabetes ist gesichert
  • Durchführung 75 g OGTT: 8 h nüchtern, während dem Test soll die Schwangere nicht körperlich aktiv sein und nichts essen
  • HbA1c-Bestimmung in SS nicht relevant, da v. a. die postprandialen BZ-Spitzen für die Entwicklung einer Makrosomie verantwortlich sind
  • Diät reicht bei 70–80 % der Schwangeren; falls ungenügend: Bei erhöhten Nüchternblutzucker Insulatard (Levemir®/Lantus®auch möglich, aber teurer), bei erhöhten postprandialem BZ Novorapid®. Keine oralen Antidiabetika!

Follow up

  • 6–8 Wochen nach der Geburt bzw. nach dem Abstillen: Nüchtern-Plasmaglukose und/oder
    75 g OGTT und/oder HbA1c

Vollversion

Autoren: Dr. med. U. Beise

Änderungsdatum: 01/2025

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